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THEMA: Charlie Parker

Charlie Parker 24 Jan 2013 13:10 #111539

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Charlie Parker war ein genialer Altsaxophonist, Komponist, Musiktheoretiker und einer der größten Erneuerer des Jazz.

Mit ihm soll sich dieser Thread befassen.
Nun könnte ich stundenlang schreiben, allein, wer würde das lesen wollen? Nicht wenige wollen Parker noch nicht einmal hören.

Also gehen wir es langsam an. Ich habe hier im Harmoniefrettchen zwei kleine Kapitel über Bebop geschrieben. Bevor wir uns also mit Parker selbst befassen, möchte ich noch einmal die Gelegenheit geben, sich in die damalige Zeit einzufühlen.

Hier der erste Teil:

Anfang der 40er Jahre zeigte sich die musikalische Szene in New York in anderem Licht. Die großen Orchester spielten noch, aber die kreative Zeit des Swing war vorüber. Die vier großen 'major labels' Columbia, Decca, Capitol, und Victor hatten sich den Markt aufgeteilt, machten Riesenprofite mit der industriellen Herstellung der neuen populären Musik und die immer noch schlecht bezahlten Musiker langweilten sich in ihren Orchestern.
Mit dem Kriegseintritt der USA 1941 wurden Sonderabgaben auf Tanzaufführungen fällig und immer mehr Topsolisten zum Wehrdienst eingezogen. Das brachte die großen Swingorchester zunehmend in Schwierigkeiten und verhalf der Musikergewerkschaft AFM, die nun die wenigen hochkarätigen Musiker vertrat, zu größerer Macht. Sie forderte von den Plattenfirmen einen Mindestlohn für die beteiligten Musiker und bestreikte ab August 1942 bis ins Jahr 1944 sämtliche Plattenaufnahmen (Recording Ban).

All diese Umstände bedeuteten das allmähliche Ende der Swing Aera, schafften aber auch Platz für neue Entwicklungen im Jazz.

1938 gründete der Tenorsaxophonist Henry Milton in Harlem einen neuen Club. 'Milton's Playhouse' befand sich im 1. Stock des Cecil Hotels und bald trafen sich hier Musiker nach ihren Auftritten bei den Swingorchestern zur Jamsession. Ohne kommerziellen Druck und Zugeständnisse konnten sie hier nach neuen Formen suchen.

Ab 1940 gab es eine feste Stammband im Milton's: Thelonious Monk (p), Kenny Clarke (dr), Joe Guy (tp) und Nick Funton (b). Häufiger Gast hier war Dizzy Gillespie, der Gitarrist Charlie Christians spielte von 1941 bis zu seinem Tod 1942 dort und übte starken Einfluss auf den neuen Stil aus, den die Kritiker bald 'Bebop' nannten, wahrscheinlich lautmalerisch den gesungenen Phrasen des Stils nachempfunden.
Clarke und Monk versuchten, den Manager des Clubs, Teddy Hill, dazu zu bewegen, auch den Altsaxophonisten Charlie Parker vom McShann-Orchester fest anzustellen. Hill weigerte sich jedoch, so dass Monk und Clarke ihm schließlich die Gage aus der eigenen Tasche bezahlten.

Minton's Playhouse war der Kristallisationspunkt des Bebop. Während im Harlemer 'Apollo' sich die 'alten' Starsolisten des Swing regelrechte 'Battles' mit den Nachwuchsmusikern lieferten, warteten hier im Minton's eine Menge jüngerer Musiker schon auf die Chance, in den Kreis der Erlauchten aufzusteigen, unter ihnen Miles Davis, Dexter Gordon, Art Blakey, Max Roach, Fats Navarro und Bud Powell.

Mitte der 40er hatte sich der Bebop etabliert und zog in die 52th Avenue, was nicht gleichzeitig bedeutet, dass er nun zur populären Musik zählte. Bebop hatte keine kommerzielle Breitenwirkung; Melodien und Harmonien waren zu komplex, als dass sie sich zur reinen Unterhaltung anboten. Der durchschnittliche Musikkonsument damals hatte wohl wenig Chancen, den Kompositionen und Improvisationen zu folgen und zum Tanzen eignete sich die Musik schon gar nicht.

Durch den eingangs schon erwähnten Recording Ban gibt es aus der Anfangszeit des Bebop keine Aufnahmen; jazzhistorisch gesehen natürlich schade, aber auch ein Zeichen für den Wechsel von einer populären zur Kunstmusik.



Noch eine Bitte: In diesem Thread interessiert mich nicht, ob jemand Charlie Parker mag oder nicht. Vielleicht ist es möglich, eine Diskussion über den Künstler zu führen, ohne die persönlichen Vorlieben und Abneigungen darzustellen.
Letzte Änderung: 24 Jan 2013 15:47 von pue.
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Charlie Parker 24 Jan 2013 13:34 #111540

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Schön, dass auf das ignorante CP-Bashing noch reagiert wird. Der erste Teil ist schon einmal gut soweit, bis auf zwei kleine Flüchtigkeitsfehler:

Der Club hieß "Minton's Playhouse" und Charlie Christian war Gitarrist (und zwar ein großer Wegbereiter).

freue mich schon auf Teil zwei ;)
Pierret Bari & Alto
Yardbird Alto
Martin C-Mel
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Charlie Parker 24 Jan 2013 15:48 #111543

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Danke dir für die Korrekturen, Steffen.
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Charlie Parker 24 Jan 2013 18:23 #111551

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Danke pue für diesen Thread, ich freue mich schon sehr auf weiteres und werde deinen Schriften gespannt und aufmerksam folgen.
Ich hab immer wieder Phasen, da läuft bei mir Parker von morgens an auf meinem Arbeitsplatz. Da werd ich nun dabei andächtig diesem Thread folgen. :cheer: :laugh:
lg Geri
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Charlie Parker 24 Jan 2013 18:46 #111552

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Erst einmal vielen Dank für diesen Trend.
Es gab Menschen, die die Welt mit ihrem Wesen nachhaltig geändert haben. Ich bin froh, in meinem Leben zufällig auf diese Biografien gestoßen zu sein, die so eine unglaubliche Schaffenskraft haben/hatten, weil sie sich nicht an Konventionen gehalten haben, und mit ihrem Verhalten Neuland betreten haben.
Parker ist einer von ihnen. Er war nur der Musik und seinen Ängsten gegenüber verpflichtet, und hat musikalisch einen neuen Raum betreten. Immer kann ich Parker auf keinen Fall hören, aber seine Musik hat einen festen platz in meinem Herzen, denn er hat uns den Bebop gebracht :silly:
Zur Zeit befasse ich mich zwar mehr mit John Coltrane und seiner unglaublichen Giant Steps Geschichte, aber für diesen Trend werde ich immer Zeit haben :P
Danke

LG FoPh
To be a succesful musician, you must first become a successful human being. For Eddie Harris
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Charlie Parker 25 Jan 2013 12:48 #111572

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New York, Anfang der 40er Jahre.

Ich stelle mir vor, ich hätte 10 Jahre mit meinem Alto in solch einem Swingorchester gesessen.

Jeden Tag zur gleichen Zeit das gleiche Solo. Wir hatten unsere Soli vorher ausgearbeitet und einstudiert, so dass sie Abend für Abend risikolos abgerufen werden konnten. Zwar waren sie virtuos und das Publikum begeistert von dem, was wir da spielten, dennoch wechselte das Repertoire nicht gerade häufig. Das Publikum hatte seine Lieblingssongs und wollte diese dann auch hören. Nach dem Konzert gingen wir meist in die 210th West, 118th Street.

Thelonious sitzt über die Tastatur gebeugt und scheint die Tasten sortieren zu wollen. Hört sich an, wie die Changes von Whispering. Aber er spielt nicht die bekannten Akkorde, sondern deutet sie an, umspielt und entstellt sie, bis nur noch eine Sekunde oder eine Kette von Sexten übrig bleibt. Thelonious liebt die Sexten, ist ganz vernarrt in sie. Wenn der Bär spielt, weiß man nie genau, was wann passiert: manchmal scheint er völlig abwesend, dann wieder bricht er den Swing mit einer widerborstigen Vierteltriole auf der Dominante... Er kann die Tastatur biegen, entlockt dem Klavier unerhörte Töne; das alles in seinem eigenen Zeitkontinuum. Streng genommen hat er mit uns nichts zu tun, ist gar kein Bebopper, eher the loniouus Monk.
Kenny an den Drums treibt mit der Rechten sein Becken vor sich her. Das gesamte Tempo ist dieser eine Stick, er zieht die gesamte Band in einem Höllentempo durch den Song. Mit Links bearbeitet er sporadisch die Snare, mal synkopisch, mal gar nicht, ein System scheint nicht erkennbar und doch stehen die Schläge in einem geheimnisvollen Zusammenhang zu den Melodiefetzen, die aus dem Klavier irren. Nachdem der Bär eine fast vollständig zu nennende Phrase zu Wege bringt, attackiert die Bassdrum die plötzlich entstandene Leere.
Nun setzt Dizzy ein; Achtelketten in bislang nicht gehörten Tonarten und Skalen hängen sich in den Beat, brechen unvermutet ab um im gleichen atemberaubenden Tempo in neuer, noch gewagterer Linie den nächsten Gipfel zu erklimmen.
Die ganze brodelnde Masse würde wohl auseinander fliegen, wäre da nicht Nick am Bass. Er spielt zwar nicht, was er soll, zumindest aber erlauben einige seiner Töne, die Orientierung zu behalten, wenn er sich nach gewagtem chromatischen Ausflug wie von Zauberhand auf der Tonika wiederfindet.
Das Publikum ist schon lange ausgestiegen, bestaunt das hitzige Chaos und wundert sich, wie wir mit einem Mal das gestern von Dizzy geschriebene "Groovin' High" unisono und auf den Punkt anspielen. Nach 32 Takten ist der Ritt vorbei und wir schauen uns grinsend an.

So hätte es sein können im Minton's Playhouse oder irgend einer anderen Session Anfang der 40er. Nach 10 Jahren Swingorchester mit immer den gleichen Melodien und Harmonien waren die Changes wie eingebrannt. Sie waren so in Fleisch und Blut über gegangen, dass die Musiker spielen konnten, was sie wollten, ohne dabei Gefahr zu laufen, aus der Form zu fliegen. Im Gegenteil, sie entwickelten ein diebisches Vergnügen daran, die alten Gerüste umzudeuten, zu erweitern oder zu konterkarieren.
Es war ihnen ein Spiel und intellektueller Spaß, die altbekannten Songs in neuen Stücke zu verstecken. Wer erkennt die Melodie, wer die Harmonie?

Aber es war weitaus mehr: es war der Protest gegen die Einverleibung des Jazz durch die 'weiße' Plattenindustrie und Protest gegen den immer noch nicht überwundenen Rassismus in den USA.

Mit dem Bebop einher geht noch eine wichtige Veränderung, die ich gar nicht bewerten möchte: Der Jazz machte den qualitativen Sprung von der Unterhaltungsmusik zur Kunstmusik.
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Charlie Parker 25 Jan 2013 14:26 #111575

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Sehr schön, pue
Danke!
antonio
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Charlie Parker 25 Jan 2013 15:01 #111577

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Bevor das hier ganz zur Märchenstunde wird möchte ich das mit Wahrheiten beenden.
Wer alles lesen möchte (dringend zu empfehlen) ab Seite 100
Hier ein Auszug:


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Charlie Parker 25 Jan 2013 15:57 #111581

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In diesem Auszug lese ich noch keine "Wahrheit", die dem bisher geschrieben widerspricht.

Werde aber gleich zu Hause mal "ab Seite 100" lesen.

Cheerio
tmb
Keep swinging!
I believe you should try to make music as beautiful as you can. It should not be done with ugliness.
There's so much hate in the world; you should counteract it with loveliness(Stan Ge
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Charlie Parker 25 Jan 2013 18:21 #111582

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@Otto

Von diesen sog. "Wahrheiten" gibt es zig Versionen oftmals. Was wirklich sich so oder so zugetragen hat, kann heute kein Mensch mehr beurteilen und nur weil's in einem Buch steht ist es noch lange nicht die einzige, absolute "Wahrheit".
Da wurden doch im laufe der Zeit Anektoten geschmiedet à Discretion. Aber das ist ja auch gar nicht das, was hier interessiert, sondern hier steht doch eher die Entwickluung der Musik bzw. des Jazz zur Diskussion und nicht, in welcher Verfassung Charlie welches Sax ins Pfandhaus brachte.

in diesem Sinne,
LG
antonio
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