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pue
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Rhythmus - Swing I
Ich mache heute eine kleine Zäsur, und ehe es mit der Jazzgeschichte weiter geht, ein paar Zeilen zu dem Rhythmus, der einer ganzen Jazzepoche den Namen gab: dem Swing. Auch wenn es thematisch nicht ganz in den Thread zu passen scheint, kann ich nicht umhin, mich mit diesem Phänomen zu beschäftigen. Der Swingrhythmus bestimmt die Melodien im Jazz stark und ohne ihn sind diese nicht denkbar.
Wie entsteht dieses eigenartige 'Schwingen', dass den Groove so einzig macht? Vom Marsch kann es nicht kommen, ist dieser doch eher streng und in seiner Betonung der 1 und 3 fest und geerdet. Die Auffassung, die afroamerikanische Musiker Anfang des 20. Jahrhunderts von solch einem Marsch hatten, zeigt von Anfang an die Tendenz zum 'Swingen'. Der Backbeat der Snare auf 2 und 4 hob schon im New Orleans Jazz die feste Hierarchie der Marschbetonung auf.
Um das Rhythmusgefühl der Afroamerikaner zu verstehen, muss man ins frühe Afrika schauen. Hier bestand eine grundsätzlich andere Vorstellung von rhythmischem Spiel. Denken wir in Europa den Takt als Einheit, den wir nach Belieben zerteilen, so ist für den Afrikaner die kleinste Einheit Grundlage für Rhythmus. Stellen wir uns eine Trommel vor, die mit beiden Händen abwechselnd geschlagen wird:
dududududududududu
Das ist noch kein Rhythmus, eher ein Metrum. Ein Rhythmus entsteht, indem der Trommler einen Schlag auslässt, also zum Beispiel so:
dudu__dudu__dududu
Rhythmus entsteht hier also durch das Weglassen von Tönen. Die beiden Pausen wirken wie eine Verlängerung auf die vorangehenden Schläge. In unserem Notationssystem würden wir die Phrase so aufschreiben:
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oder so:
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Ein abendländischer Komponist hätte das Pattern auch komponieren können, er hätte aber etwas ganz anderes getan. Er hätte nämlich den Takt zerteilt, um den Rhythmus zu erhalten. Wie man an den Taktstrichen sieht, stehen die Noten zudem in einem Sinnzusammenhang zum ganzen Takt mit seinen betonten und unbetonten Zählzeiten. Diese a priori festgelegten Betonungen gibt es im Afrikanischen in dieser Art nicht.
Ich versuche es mal anders. Bitte nicht böse sein, wenn ich die Sache sehr vereinfache. Ich bin mir bewußt darüber, dass eine starke Abstraktion ungenau und in gewissem Maße unwahr ist.
Afrikanische und europäische Kultur unterscheiden sich grundsätzlich.
Die europäische Kultur ist zielgerichtet, als Hochkultur stark hierarchisch gegliedert. Architektur, Kunstwerke und Kompositionen sind die Werke einzelner Künstler, meist geschaffen, um Macht und Herrlichkeit Gottes oder weltlicher Herrscher darzustellen und zu preisen. Die großen Werke sind stark gegliedert. Es gibt Haupt- und Nebenformen, alles ordnet sich dem zentralistischen Ganzen unter. Diese Kultur haben die europäischen Auswanderer mit nach Amerika gebracht.
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Ganz anders die 'primitivere' Kultur Afrikas: Musik und Kunst waren nicht vom Alltagsleben zu trennen, erhoben sich nicht über die Natur. Die Musik war die Musik des Momentes, es gab keine höhere Einheit, der sie sich unterordnete, sie war in der Zeit. Es gab kein Vorspiel, dass den Höhepunkt vorbereitete, keine Reprise oder Wiederholung, dafür das Laufen, Gehen, Tanzen, Naturdarstellung, direktes Lebensgefühl in Zeit und Raum. In diesem Tanzen verband sich das Individuum mit der Gruppe und dem Geist der Welt.
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Wenn man sich nun vorstellt, wie die Afrikaner die marschierenden Truppen des Bürgerkrieges sahen, in Reih und Glied, in gänzlicher Unterordnung: 'links zwo drei vier links zwo drei vier...', dann kann man sich vorstellen, wie die Afroamerikaner diese Märsche ausprobieren und nachbildeten, aber nicht umhin kamen, sie ausgelassen zu tanzen, zu umspielen, zu konterkarieren, ihre 'dirty tones' (haben sie selbst wohl nicht so benannt, oder?) zu spielen, zu Growlen und zu swingen.
Bin ich dem Phänomen näher gekommen? Nein. Oder doch?
Ich will zwei gegensätzliche Prinzipien verdeutlichen, die sich im Swingrhythmus vereint haben. Nehmen wir die betonte 1 und die weniger, aber immer noch betonte 3 aus der Marschmusik und versuchen nun in afrikanischem Sinne, eine durchgängig fließende Bewegung kleiner Einheiten zu machen, dann bietet sich an, die 2 und 4 ebenfalls zu betonen. Das übernahm im frühen Jazz die Snare; ein Phänomen, was sie Back Beat nannten. Auch die Harmonieinstrumente spielten ihre Akkorde häufig auf der 2 und 4, um auf der 1 und 3 Grundton und Quinte zu spielen. Das hierarchische abendländische Taktgebilde war aufgeweicht. Statt 'links..2.....3.....4.....' im militärischen Drill durften nun beide Beine zum Tanzen benutzt werden: 'links..rechts..links..rechts...'.
Ich stelle mir gerade vor, wie schön es für die Instrumente gewesen sein muss, aus der Militärkapelle direkt in die Hände der 'schwarzen Wilden' zu fallen. Und das in den Südstaaten, deren weiße Gesellschaft doch der Meinung war, das Sklaverei ganz legitim sei.
Aber es wurde noch doller: auch der ungleichen Wertigkeit der Achtelnoten in der europäischen Musiktradition wurde entgegengewirkt: die Noten auf der 'und' wurden von den Jazzmusikern extra betont, während die ganzen Zählzeiten unbetont oder gar weg gelassen wurden.
Es existieren in der Grundform also noch ein Takt, seine Hauptbetonungen und Hebungen, auf der anderen Seite aber standen die Backbeats und Offbeats (so heißen die Betonungen der Achtelnoten auf 'und') dagegen und sorgten für eine Gegenkraft. Diese beiden Kräfte verursachen wohl dieses Gefühl des Hin und Her. Der Swing des Jazz ist in seinen Wurzeln so gesehen ein Schwingen zwischen Europa und Afrika.
In der Praxis ist das Phänomen Swing noch ein wenig komplizierter und wer da welche Rolle übernimmt, davon ein nächstes Mal.
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